Die Klagen über die missliche Lage der deutschen Wirtschaft reißen nicht ab. Kein Zweifel, Unternehmen stehen hierzulande vor riesigen Herausforderungen. Themen wie Digitalisierung, Bürokratie und Ökologie wecken das Gefühl, so könne es nicht weitergehen. Diese Stimmungslage griff eine Veranstaltung auf, die am 6. November 2023 in der Aula des Bildungscampus Heilbronn stattfand. Programmatisches Motto des Abends: „Jetzt die Kurve kriegen!“
Als Keynote-Speaker war der profilierte Journalist und mittlerweile Gründer Gabor Steingart verpflichtet worden, der den Finger in die Wunde legte. Er beschrieb die aus seiner Sicht größten Herausforderungen für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Dies sind …
Erstens: Schwaches Wachstum. Das in den frühen Jahren der Republik noch stürmische Wirtschaftswachstum mit durchschnittlichen Zuwachsraten von 6,5 Prozent schwächelt schon seit einigen Jahren. Man konnte zuletzt froh sein, mehr als 1 Prozent jährlich zu schaffen. Und die Aussichten trüben sich weiter ein, so dass in den kommenden Jahren mit einer Stagnation zu rechnen ist.
Zweitens: Ökologie. Hier ist eine gigantische Transformation in Gang gebracht worden, die eher durch Naivität geprägt ist als durch Planung oder Expertise. Die Unternehmen wurden nicht gefragt, haben aber mit den Folgen zu kämpfen. Was allein die zeitweilige Explosion der Energiekosten für einen Produktionsbetrieb bedeutet, kann man sich als Berliner Laie kaum vorstellen. Man will es wohl auch nicht. Die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen gegenüber der internationalen Konkurrenz ist deutlich geschwächt. Nur enorme Anstrengungen – und Einsparungen an anderer Stelle – könnten dies kompensieren. Dass der gesamte Transformationsprozess von Amateuren vorangetrieben wird, stimmt auch nicht besonders zuversichtlich.
Drittens: Digitalisierung. „Die erste Halbzeit haben wir verloren, in der zweiten liegen wir hinten.“ So zitiert Steingart einen Digitalisierungs-Experten. In der Tat wird vielfach beklagt, dass Deutschland die ersten Wellen der Digitalisierung verschlafen habe und sich die Unternehmen entsprechend schwertun, den Anschluss zu schaffen. Die Digitalisierung verläuft nicht linear. Alles bleibt jederzeit möglich. Ein Gamechanger könnte die Anwendung von KI in der Industrie sein. Und da sind wir nicht schlecht aufgestellt – auch und gerade in Heilbronn. Dort tut man viel dafür, eine Trendumkehr zu schaffen. Deshalb ist es ratsam, mit den Abgesängen noch zu warten. Deutsche Unternehmen haben oftmals ihre Fähigkeit bewiesen, technologische Rückstände aufzuholen und in einen Vorsprung umzuwandeln. Wenn man sie denn lässt.
Viertens: Globale Strategie. Die weltweiten Lieferketten stehen massiv unter Druck. Havarien und politische Unsicherheiten bis hin zu Kriegen, mit denen noch vor wenigen Jahren nicht zu rechnen war, reißen laufend Löcher in die Supply Chains der Unternehmen. Deutsche Weltmarktführer, die stark auf „Global Sourcing“ setzen, sind davon besonders betroffen. Deshalb rückt eine andere, resiliente Gestaltung von Lieferketten in den Fokus. Europa ist groß genug für neue Zulieferwerke, und Industriearbeitsplätze sind in vielen Ländern noch gefragt. Anders als hierzulande, wo Werkserweiterungen eines ansässigen Mittelständlers von den Kommunen oft und gerne abgelehnt werden. Man will keine Industrie mehr haben.
Dennoch: Die Zuversicht überwiegt. Deutschland schneidet als lohnendes Ziel für Investitionen noch immer besser ab als die allermeisten anderen Länder, zumindest in Europa. Keimzelle dieser permanenten Vitalisierung des Standortes sind die hierzulande ansässigen Unternehmen, die sich trotz aller Herausforderungen und Hindernisse auf Weltniveau behaupten. Namentlich die Familienunternehmen, um die uns die Welt wirklich beneidet, sieht Gabor Steingart als „nachwachsenden Rohstoff“. Diese Erkenntnis sollte man einrahmen und in den Büros der Bundesregierung ständig sichtbar platzieren.