„Klimaneutralität rechnet sich langfristig“

Klimapaket, EU-Taxonomie, EU Corporate Sustainability Reporting Directive, Klimaschutzgesetz: Der Gesetzgeber zieht die Zügel an, der Handlungsdruck steigt. Anlässlich der Neuerscheinung Durchstarten bei der Transformation habe ich mit Professor Mark Junge gesprochen.

Michael Rohn: Herr Professor Junge, CO2-Neutralität, Netto-Null-Emissionen, Klimaneutralität: Bei all den kursierenden Begrifflichkeiten herrscht offenkundig eine babylonische Sprachverwirrung. 

Mark Junge: Das ist richtig, weil wir es mittlerweile mit gewissen Buzzwords zu tun haben, die aus dem Greenwashing entstanden sind. Die erste Frage muss lauten: Welche Emissionen betrachten wir im Unternehmen? Sprechen wir nur von CO2 – oder von Treibhausgasen? Korrekt ist, von allen wesentlichen Treibhausgasen – den erweiterten Kyoto-Gasen – zu sprechen. Über sie muss in den so genannten drei Scopes nachgedacht werden.

? „Scope“ ist die englischsprachige Bezeichnung für eine Emissionskategorie. Wo tun sich Unternehmen Ihrer Erfahrung nach schwer?

! Scope 1 und 2 ist an vielen Stellen in der Regel schnell erledigt. Eine echte Herausforderung ist Scope 3 aufgrund der Komplexität, häufig reicht auch die Datenlage nicht aus. Die DIN-Norm 14086, die sich gerade in der finalen Abstimmung befindet, wird zeigen: Wer über Klimaneutralität redet, muss über alle drei Scopes reden und seine komplette Lieferkette mit in die Betrachtung einbeziehen. Und das macht das Thema eben sehr komplex und deutlich aufwändiger in der Erstellung.

? Das Ziel ist klar. Es lautet „Klimaneutralität bis 2045“.

! Genau. Häufig existiert jedoch kein konkreter Plan, wie dieses Ziel erreicht werden soll – oder es wird lediglich aus Marketingsicht ausgerufen. Dann beschäftigt man sich meist erst im zweiten Schritt ernsthaft mit dem Thema. Aber wie sollen Führungskräfte an ein Ziel glauben, wenn der Weg dorthin, der „Dekarbonisierungspfad“, nicht aufgezeigt wurde?

? Wie bringen Sie Licht ins Dunkel?

! Indem man, ausgehend von der CO2-Bilanz, zunächst einmal Transparenz schafft. Es geht nicht darum, irgendwo zu beginnen, sondern richtig zu beginnen – aus dem einfachen Grund, weil das Thema hochkomplex ist. Von daher sollte unbedingt ein Verständnis vorhanden sein, was und wie genau bilanziert werden soll. Wobei man nicht vergessen sollte, dass die Bilanzierung nicht den Anspruch hat, den Absolutwert perfekt darzustellen. Schließlich ist die Bilanzwelt nicht dafür da, um Unternehmen A mit Unternehmen B vergleichen zu können. Vielmehr geht es darum zu erkennen, welches die wesentlichen Emissionsquellen sind, um dann die richtigen Werte anzusetzen.

Vom Groben zum Feinen gehend gilt es dann, für die wesentlichen Punkte konkrete Maßnahmen zu überlegen, Chancen und Risiken darzustellen sowie die Wirtschaftlichkeit und Energiepreis-Szenarien zu betrachten. Diese Maßnahmen sind dann in eine zeitliche Reihenfolge zu überführen. Beim Thema Dekarbonisierung, das sehen und hören wir immer wieder, handelt es sich eben immer noch um eine diffuse „Nebelwolke“. Aber Unternehmen müssen sich aufmachen. Und das ist Ingenieursarbeit…

? … und auch keine Einmalaufgabe.

! Richtig. Je nach Größe des Unternehmens ist einmal im Jahr oder alle zwei Jahre zu überprüfen, ob man sich noch auf dem richtigen Pfad befindet. Oder ob sich beispielsweise technische oder wirtschaftliche Rahmenbedingungen verändert haben. Um den Pfad gegebenenfalls anzupassen.

? Wer sind denn aktuell die „Hauptkümmerer“ im Unternehmen?

! Diese Frage lässt sich nicht ganz eindeutig beantworten, weil die Stelle des Nachhaltigkeits- oder Klimamanagers meist noch nicht besetzt ist. Aktuell ist das Thema häufig im Energie- oder Umweltmanagement angesiedelt, aber auch im Bereich der Instandhaltung oder der technischen Leitung. Bei kleinen KMU ist es in der Regel auch ein Thema der Geschäftsführung. „Sich kümmern“ wird noch eine große Herausforderung werden – schon deshalb, weil in den nächsten Jahren ungefähr 15.000 Unternehmen zum Nachhaltigkeits-Reporting verpflichtet werden. Diese 15.000 Nachhaltigkeitsmanager existieren jedoch im Markt überhaupt nicht. Von daher wird es an dieser Stelle ein gewaltiges Gerangel um Talente geben.

? Eine wichtige Rolle in Ihrem Buch spielt ein Transformationskonzept. Dies umzusetzen, geht vermutlich nicht ohne ein professionelles Change Management.

! Vollkommen richtig. Es handelt sich um einen Change-Prozess, weil sich das Denken verändern muss. Klimaneutralität ist ein gutes Thema, um Mitarbeiter mitzunehmen, zumal das Interesse gerade bei der jüngeren Generation wächst. Aus diesem Grund ist es wichtig, die CO2-Bilanz nicht in der Schublade zu verstecken, sondern das Thema transparent darzustellen. Das Ziel ist, alle Menschen mitzunehmen.

? Letzte Frage: Wer sollte Ihr aktuelles Buch lesen?

! Jeder Unternehmer, jeder Geschäftsführer – aber auch jeder, der das Thema Klimaneutralität als relevant erkannt hat. Mein Ziel in dem eBook war, ein Grundverständnis zu vermitteln, wohin die Reise gehen wird und welches die Herausforderungen und Lösungsansätze sind, um einen klareren Blick zu bekommen.

Michael Rohn: Herr Professor Junge, besten Dank für das Gespräch

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