KI im Land der Dichter und Denker

KI im Land der Dichter und Denker

Nicht selten wird behauptet, ChatGPT könne auch Lyrik, menschliche Dichter seien künftig wert- und arbeitslos. Das Denken werde sowieso von KI übernommen. Ist das wirklich so? Der Wissenschaftsautor Dr. Marco Wehr hat die dichterischen Fähigkeiten von ChatGPT getestet und das Ergebnis in seinem Buch „Komplexe Welt und wie wir lernen, damit klarzukommen“ veröffentlicht.

Hölderlin 1784:

„Herr! Was bist du, was Menschenkinder?
Jehova du, wir schwache Sünder,
Und Engel sind’s die, Herr, dir dienen.
Wo ewger Lohn, wo Seeligkeiten krönen.

Wir aber sind es, die gefallen,
die sträflich Deiner Güte Straalen,
in Grim verwandelt, Heil verscherzet
Durch das der Hölle Todt nicht schmerzet!“

Nun gut, über die Qualität dieses sehr frühen Hölderlin-Gedichtes lässt sich sicherlich streiten. Schauen wir, was Generative KI daraus macht, wenn es zum Nachdichten ermuntert wird.

Chat GPT 2022:

Prompt: „Herr! Was bist du, was Menschenkinder?“
Die erste Strophe entspricht noch dem Original. Aber dann.

„Ihr Throne, ihr Sitzestühle,
Erzengel, Gabriel, Uriel,
Herr, wir bauen dir die Wolken.
Sind deine Tempel, dein Reich, dein Stützen.
Stirbt alles auf, bleibst du ewiglich Leben.“

Digitaler Gedächtnisverlust oder wirres Gefasel? Dr. Burkhard Schwab weist in seinem LOGiBit „Die Stunde der KI“ darauf hin, dass ChatGPT zu Halluzinationen neigt. Das ist noch höflich ausgedrückt, wenn man an eigene Anwendungen bei Recherchen denkt. KI liefert immer, und wenn es der größte Nonsens ist. Für mich stellen sich in diesem Zusammenhang Fragen:

Was kann Generative KI? Was soll Generative KI? Was darf Generative KI?

Egal, wie faszinierend die fortgeschrittene Technik der Large Language Models sein mag – wir dürfen keinesfalls zulassen, dass Künstliche Intelligenz unseren Dichtern und Denkern ins Handwerk pfuscht. Und uns die Kunst verfälscht und verhunzt. Kunst kommt nämlich nicht von „künstlich“. Kunst muss echt und menschlich bleiben.

„Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne,
Und trunken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser.

Weh mir, wo nehm ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein,
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.“

Quellen:
Marco Wehr: Komplexe neue Welt und wie wir lernen, damit klarzukommen, S. 28. Galiani eBook, Köln, Verlag Kiepenheuer & Witsch 2024.
Burkhard Schwab: Die Stunde der KI. Wie man die Chancen der Künstlichen Intelligenz nutzt und Herausforderungen bewältigt. LOGiBit, Ludwigsburg, LOG_X Verlag 2024
Friedrich Hölderlin: Gesammelte Werke, C. Bertelsmann Verlag 1957

Danke für die Erlaubnis zur Wiedergabe, Dr. Marco Wehr. Und danke für das Bild aus Tübingen, Ivonne Rohn.

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