Im Business-Netzwerk LinkedIn häufen sich die Postings, in denen der Zustand des deutschen Bildungssystems beklagt wird. Tenor: Zu viel Jambus, zu wenig Algorithmus. Gemeint ist, dass auf unseren Schulen zu wenig Informatik und zu viel Deutsch gelehrt wird – und dass dies unser aller Wohlstand gefährde. Dem ist nicht so, wie hier zu beweisen sein wird.
Die Auseinandersetzung zwischen Technik einerseits und schönen Künsten andererseits ist ein brisantes Thema. Der britische Wissenschaftler C.P. Snow spricht gar von zwei Welten, die sich verständnislos und feindselig gegenüberstehen. Beide Fraktionen fühlen sich der jeweils anderen haushoch überlegen. Und blicken aufeinander herab.
Früher war das anders, vor allem hierzulande. Wilhelm Schickard, Philipp Matthäus Hahn und Max Eyth waren überragende Techniker, Mechaniker, Ingenieure und Wirtschafsleute. Und, ach ja, Theologen bzw. Altphilologen. Das hat ihnen offenbar so wenig geschadet, wie es einem heutigen Informatiker schaden würde, zumindest eine natürliche Sprache in Wort und Schrift zu beherrschen. Da ist nämlich Luft nach oben.
Anders herum weniger. Ich kann als Altersstudent und Augenzeuge davon berichten, dass in Vorlesungen der philosophischen Fakultät modernste Technik zum Einsatz kommt. Um mich herum sitzen Studierende, die während der Vorlesung pausenlos auf zwei mobilen Endgeräten gleichzeitig daddeln. Tool-User sind sie also allemal. Ob sie auf Instagram surfen oder KI-Programme schreiben, kann ich aus der Halbdistanz schwer beurteilen, halte aber beides für möglich. Ich bin nicht überheblich genug, um diesen jungen Leuten jegliche technische Kompetenz abzusprechen.
Schmalspurbildung in Form rein technischer Fokussierung ist der falsche Weg. Der große Industrieforscher Hans-Jürgen Warnecke, Präsident des VDI und der Fraunhofer-Gesellschaft, hat den breiten Bildungsansatz in Deutschlands Schulen immer verteidigt. Das sei die wahre Wurzel unseres Wohlstandes. Eindimensionale Nerds, heute Leitbild einer Generation, hat er, ohne den Begriff zu kennen, belächelt und abgelehnt.
Man kann nämlich auch heute noch das Eine tun, ohne das Andere zu lassen. Davon legen nicht zuletzt erfolgreiche Unternehmen Zeugnis ab. TRUMPF beispielsweise ist gleichzeitig Hightech-Weltmarktführer und ein durch und durch kulturgeprägtes Unternehmen. Mörike-Zeilen zieren die Flure, Kunst und Kultur werden aktiv gefördert. Der heutigen Tageszeitung entnehme ich, dass sich die Berthold-Leibinger-Stiftung am Ankauf des Rilke-Nachlasses durch das Literaturarchiv in Marbach beteiligt hat. Hätte man das Geld nicht besser für Quantencomputer ausgegeben? Eindeutig: Nein. Siehe Fußnote.
Der Mensch besitzt bekanntlich zwei Gehirnhälften – und tut gut daran, beide zu nutzen. Heißt: Man kann Schöngeist und Ingenieur gleichermaßen sein. Und Unternehmer. Logik und Ästhetik gehören zusammen, erst die Jetztzeit hat beide getrennt.
Wer dies nicht sieht, ist zu bedauern. Ich jedenfalls plädiere dafür, sich mit Jamben und Algorithmen gleichermaßen zu befassen, die natürliche Sprache in ihrer Schönheit und Perfektion nicht abzuschaffen und durch technische Codes auf Basis des Zweiersystems zu ersetzen. Geistige Begrenzung trübt nämlich den Blick.
Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
So müd geworden, daß er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.
Die Welt ohne Jambus? Ein Käfig für Techniknarren.
Fußnote:
TRUMPF gehört auch beim Quantencomputing zu den Treibern. Das steht heute ebenfalls in der Zeitung. Wer lesen kann, ist im Vorteil.
Ende der Polemik.