Manchmal will man in die Zukunft springen und landet direkt in der Vergangenheit. So ähnlich ging es mir, als ich den Begriff Bio-Ökonomie das erste Mal hörte. Ein Déjà-vu-Erlebnis führte mich zurück ins Jahr 1992. Damals hatte ich die Ehre, an dem Buch „Die Fraktale Fabrik“ des großen Industrieforschers Hans-Jürgen Warnecke mitarbeiten zu dürfen. Darin schwingt unter anderem die Vision mit, Fabriken müssten sich an organischen Strukturen orientieren, um ein Höchstmaß an Anpassungs- und Lebensfähigkeit zu erreichen. Das Leitbild von Unternehmen als agilen, biologischen Systemen war in ersten Umrissen erkennbar. 1992, wie gesagt.
Nun kann man nicht behaupten, in den 30 Jahren seit der Fraktalen Fabrik sei in Forschung und Praxis nichts passiert. Tatsächlich ist der digitale Taifun über uns hinweggefegt und hat viel frischen Wind gebracht. Mit den Folgen dieses Sturms kämpft auch die Industrie – und die Forschung hilft, wo sie kann.
Industrieforschung ist jedoch nur ein Teil des Ganzen. Auch und vor allem in den so genannten „Life Sciences“ haben sich in den letzten Jahrzehnten gleich mehrere wissenschaftliche Revolutionen ereignet. Genome wurden entschlüsselt, die DNA von Lebewesen synthetisiert, Impfstoffe auf mRNA-Basis entwickelt. Wer bremst, verliert. Namentlich in der Forschung.
Bio-Ökonomie ist ein weites Feld. Folgerichtig beginnt sie auf dem Acker, bei der Produktion ökologisch korrekter Nahrungsmittel. Sie befasst sich mit organischen Materialien, Strukturen und Prozessen in der Industrie und endet nicht dort. Vielmehr führt sie zu geschlossenen Stoffkreisläufen, zur ewigen Wiederkehr der Materie, auch Kreislaufwirtschaft genannt. Die Natur kennt keinen Abfall. So ungefähr. Jedenfalls sind zahlreiche Disziplinen beteiligt und jede kocht, wie hierzulande üblich, ihr eigenes Bio-Süppchen.
Für uns als Wanderer zwischen den inhaltlichen Welten drängt sich allmählich die Frage auf: Wann wächst zusammen, was sich bislang beharrlich gemieden hat?
Die Rede ist von Ökonomie und Industrieforschung einerseits sowie Ökologie und Biologie (bzw. Biochemie) andererseits. Ob ein Programm wie die derzeit gehypte Bio-Intelligenz in die richtige Richtung geht, kann ich nicht beurteilen. Ein Rest von Skepsis bleibt, dass es sich nur um ein gut gewähltes Marketing-Schlagwort handeln könnte.
Wir müssen es vor allem hinbekommen, dass sich die Fachleute der beteiligten Disziplinen an einen Tisch setzen und beginnen, ernsthaft miteinander zu reden. In der Breite und in der Tiefe, inhaltlich. Man nennt das einen interdisziplinären Dialog und es wäre verdienstvoll, einen solchen Dialog zu initiieren und zu moderieren. Keine einfache Aufgabe.
„Die Grenzen unserer Sprache sind die Grenzen unserer Welt“. Das wissen wir von Ludwig Wittgenstein und können es direkt auf die Bio-Ökonomie anwenden. Man versteht einander nicht, weil man unterschiedliche Sprachen spricht und in verschiedenen Welten lebt. Ein Übersetzer wäre hilfreich, der das Gespräch in Gang bringt und es am Laufen hält. So lange, bis gegenseitiges Verständnis entsteht und die „Saat des Guten“ aufgehen kann.
Die Initiative zum Dialog muss aus der Forschung selbst kommen, aus der Wirtschaft, oder – großes Wort – aus der Gesellschaft. Was immer das sein mag. Am Anfang stehen Gespräch, Verständnis und Wissenstransfer. Und deshalb mischen wir uns ebenfalls ein. Inhalte aufbereiten, vermitteln, verstehbar machen – das ist unser Job seit jeher.
Erste Kontakte sind geknüpft, erste Fragen gestellt, erste Projektideen im Kopf.
Und der Rest? Ist bis auf Weiteres Schweigen.
Fressfeind liest mit, um im biologischen Bild zu bleiben.