Dinge, die zu loben sind: Das Studium Generale

Die Forderung nach lebenslangem Lernen rauscht mit schöner Regelmäßigkeit durch den Blätterwald. Und im Gegensatz zu den Gepflogenheiten im Strafvollzug heißt „lebenslang“ wirklich genau das: ein Leben lang.

Dass Kinder und Jugendliche lernen, ist denen meist lästige Pflicht. Als Erwachsener kommt man vielleicht in den Genuss betrieblicher Maßnahmen zur Aus- und Weiterbildung. Die Volkshochschulen stemmen sich seit Jahrzehnten gegen den Trend zur systematischen Verblödung. Und sonst? Im Alter lauert das Vergessen. Aber nicht zwingend.

Nicht jedem sei ein Studium vergönnt. So lautet ein jammervolles Narrativ der Bildungsfernen. Die Antwort lautet: Doch. Viele Hochschulen und Universitäten dieses Landes bieten ein so genanntes Studium Generale. An der Universität Stuttgart steht dieses Studium jedermann offen, auch ohne Zeugnis der Hochschulreife. Die menschliche Reife genügt. Man muss es nur wollen.

Geboten werden Lehrveranstaltungen aller Fachrichtungen und Fakultäten, von der Höheren Mathematik bis zur Einführung in die Literaturwissenschaft. Gegen eine Semestergebühr von 150 Euro kann man aus einem umfangreichen Verzeichnis an Vorlesungen, Seminaren und Kursen auswählen. Einzige Beschränkung ist die maximale Zahl der Semester-Wochenstunden. In Stuttgart sind das 10. Für Lehrer ein halbes Mandat – das ist dann aber teurer.

Scherz beiseite. Wer das Lernen im Studium Generale ernst nimmt, hat mit zehn „Stunden“ zu je 45 Minuten mehr als genug. Die meisten Vorlesungen und Seminare umfassen eine Doppelstunde, also sind maximal fünf Veranstaltungen je Semester möglich. Theoretisch. Denn anders als früher wird das Studium digital unterstützt. „Studioses Generales“ erhalten Zugang zur Lernplattform ILIAS und können sich dort mit Handouts, Skripten und Literaturlisten eindecken. Und an Videoaufzeichnungen von Vorlesungen teilnehmen, wenn Präsenz nicht möglich ist. Ein Segen in der Pandemie. Man hat also mannigfache Gelegenheit, nicht nur Vorlesungen zu konsumieren, sondern flankierend zu lesen und zu lernen.

Hinzu kommen in jedem Semester mehrere Vortragsveranstaltungen zu Themen wie „Einsteins Universum“, „Algorithmen im Alltag“ oder „Lebenslanges Lernen“. Spannend und kostenlos.

Das Durchschnittsalter der Studenten im Studium Generale liegt in Stuttgart bei knapp über 62 Jahren – wenn ich mich richtig entsinne. Ich liege also voll im Schnitt, wenngleich ich nur auf Sparflamme studieren kann. Immerhin bin ich im Hauptberuf noch Verleger.

Dieses Sommersemester 2024 ist mein viertes – das richtige Studium aus guten Gründen nicht mitgezählt. Ich habe Veranstaltungen besucht zur „Geschichte der Naturwissenschaft und Technik“, zur „Wirkungsgeschichte der Technik“, zu „Unternehmensgeschichte“ und zu „American Literature 1865 to the Present“. Und ich habe viel gelernt, obwohl ich in der Regel nur eine Vorlesung mit zwei Semester-Wochenstunden belege. Mehr ist beruflich nicht drin. Das von den Professoren auf ILIAS gebotene Material, die Listen der Lektüre, sind so umfangreich, dass mich selbst diese zwei „Stunden“ an den Rand meiner zeitlichen Möglichkeiten bringen.

Was will Ihnen der Autor mit diesen Zeilen sagen? Es ist nicht alles schlecht in diesem Land. Das Studium Generale bietet vielerorts eine fantastische Möglichkeit zum Lernen, auch im fortgeschrittenen Alter. Vor allem in den Vorlesungen zur Geschichte zähle ich mit meinen 63 Lenzen eher zu den „jüngeren Semestern“. Abgesehen von den echten Studentinnen und Studenten natürlich. Die sind wahrhaftig blutjung.

Ob die Jungen neben der körperlichen Anwesenheit im Hörsaal auch mitlernen, kann ich nicht beurteilen, ziehe es aber in Zweifel. Hörsäle sind so gebaut, dass man der Vorderfrau über die Schulter und auf das aufgeklappte Laptop sehen kann bzw. muss. Was ich da sehe, ist erschreckend. Da wird pausenlos gechattet, getiktokt und gestöbert. Nach Schuhen, Klamotten und anderem Tand.

Lebenslanges Lernen? Offenbar doch nicht jedermanns Ding.

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Scroll to Top