Eine bekannte Schrift von Martin Heidegger heißt „Der Feldweg“. Dieser steht sinnbildlich für Beginn und Verlauf des philosophischen Denkens bei Heidegger – immerhin einem der größten Philosophen des 20. Jahrhunderts. Und einem der umstrittensten.
Den Weg gibt es wirklich. Er führt aus dem Hofgarten von Meßkirch hinaus ins offene Land, der Horizont ist weit und endet an der Alpenkette. Die heute, an diesem Novembertag, bereits verschneit herüberscheint.
Heidegger, in Meßkirch geboren und die ersten Jahre dort aufgewachsen, ist diesen Weg schon als Schüler gegangen, als Student, als Philosoph und als alter Mann. Immer wieder zog es ihn zurück in seinen Heimatort und auf „seinen“ Weg, den Feldweg.
Dass er selbst bisweilen gewaltig auf dem Holzweg war, darf nicht verschwiegen werden. Zu krass die Texte in den Schwarzen Heften, zu radikal sein Denken in den 1930er Jahren, als er sich tief verstrickte in das Nazitum, Parteigenosse war und Fürsprech. Ob er getäuscht wurde oder – wie manche behaupten – nur enttäuscht von den braunen Scharen, sei dahingestellt. Der ihm oft und auch zurecht vorgeworfene Antisemitismus mag philosophisch gemeint gewesen sein. Es ändert nichts an dem, was er geschrieben hat. Trotzdem fand Hannah Arendt, selbst Jüdin, die aus der Heimat fliehen musste, zu ihm zurück. Wer sind wir, auch darüber noch urteilen zu wollen? Darüber wurde viel gesagt, mein Thema ist hier ein anderes.
Den Bildern und Zeugnissen im Heidegger-Museum und manches Biografen nach war Martin Heidegger ein kleiner Mann mit durchaus heiterem Gemüt. Als Kind, laut seinem Bruder, „der Kleinste und Frechste in der Klasse“. Das Schwere, Düstere des „Meisters aus Deutschland“, wie Rüdiger Safranski seine Heidegger-Biografie unter Anspielung auf die Todesfuge Paul Celans betitelt hat, geht ihm äußerlich jedenfalls ab. „Dem sitzt der Schalk im Nacken“, ein Eindruck, der entstehen kann.
Seine Leistung als Philosoph und Hochschullehrer kann ich nicht wirklich bewerten. Andere haben das getan und sind sich nicht einig geworden über das Bild des Mannes aus Meßkirch, Freiburg und Todtnauberg. Dort hatte er eine Hütte, in der er wohnte und schrieb. Vor allem über das, was ihm auf Wegen begegnet war. Er dachte beim Gehen.
Zum Beispiel an „Die Frage nach der Technik“.
Martin Heidegger war kein Freund der Technik – gelinde gesagt. Sie war für ihn Ausdruck des „rechnenden Denkens“, das zu nichts Gutem führt.
Im Gegensatz zur Natur, die von Menschen be-wohnt wird, wird Technik be-stellt. Sie bildet in den Worten von Heidegger ein „Gestell“, einen künstlichen Apparat, in den der moderne Mensch eingespannt ist wie in ein Folterinstrument. Die Natur dagegen bildet ein „Geviert“, in dem allein menschliche Sprache gedacht und gesprochen wird. Und Sprache ist das Haus des Seins, sie findet ihren höchsten Ausdruck im Sagen und in der Dichtung. Dies gibt dem Leben seinen Sinn.
Bedroht wird die Sprache durch das Gestell und seine „Machenschaften“. Darunter die „unheimliche“ Kybernetik, von Heidegger verstanden als der Kern aller technischen – und berechenbaren – Wissenschaft. Heute würde man sagen, der Treiber. Und würde die Kybernetik Informationstechnik nennen, Robotik und meinetwegen KI. Die ist das Gestell der Gegenwart.
Bereits 1957 schrieb Martin Heidegger über das Sprach- und Grammatik-Gestell und nannte es „Sprachmaschine“. Jahrzehnte vor ChatGPT. Diese Maschine erleichtert das Handeln und bedroht den Sinn.
Sinn liegt in der Natur, im Menschen und seiner Dichtung. Im Haus des Denkens und Seins, das mehr ist als Rechnen. Wenn man diese Gedanken ernst nimmt, muss man heute verzagen. Das Gestell ist zum Netz mutiert, das alles umfängt.
Doch zurück zum Feldweg bei Meßkirch, auf den Rückweg am späten Abend und zu Heideggers Text.
„Langsam, fast zögernd verhallen elf Stundenschläge in der Nacht. (…) Die Stille wird mit seinem letzten Schlag noch stiller. (…) Das Einfache ist noch einfacher geworden. Das immer Selbe befremdet und löst. Der Zuspruch des Feldwegs ist jetzt ganz deutlich. (…) Alles spricht den Verzicht in das Selbe. Der Verzicht nimmt nicht. Der Verzicht gibt. Er gibt die unerschöpfliche Kraft des Einfachen. (…) [1]
Für den einen ist das poetisch, für den anderen, den Rechner, übles Geschwurbel. Sicher ist, dass sich die gerufenen Geister der GenAI dadurch nicht bannen lassen.
Ich halte es mit den Worten des von Martin Heidegger verehrten Dichters Friedrich Hölderlin:
„Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“
Endnote:
[1] Martin Heidegger: Der Feldweg. Bebilderte Sonderausgabe, Frankfurt a.M., Vittorio Klostermann GmbH 2010 (4. Auflage)
Editorische Notiz:
Der Text ist ein Essay und enthält fiktionale Elemente. Detaillierte historische Darstellungen und philosophische Abhandlungen finden sich in folgenden Büchern.
Rüdiger Safranski. Ein Meister aus Deutschland. Heidegger und seine Zeit. Frankfurt a.M., Fischer Taschenbuch Verlag 2013 (8. Auflage)
Manfred Geier: Martin Heidegger, Rowohlt E-Book Monographie. Reinbek bei Hamburg, Rowohlt Verlag 2005
